Donnerstag, 20. Mai 2010

Lob der Deadline

Vor zwei Stunden habe ich ein Manuskript zur Buchgestalterin geschickt. Fast ein Jahr hat es von den ersten Interviews mit der Erzählerin gedauert, bis wir nun endlich die Produktion starten können - gerade noch rechtzeitig, damit das Buch zu ihrem 90. Geburtstag fertig wird.
Das Schreiben einer Auftragsbiografie ist ein eben ein Prozess. Dabei scheint am Anfang meistens alles klar und einfach. Ein Mensch möchte seine Lebensgeschichte aufgeschrieben und damit für nachfolgende Generationen bewahrt wissen. Oft sind des sogar die Kinder, die mehr aus dem Leben des Vaters oder der Mutter erfahren wollen. Also beauftragen sie einen Biografen - am liebsten natürlich mich.
Schon bei den ersten Interviews, also gleich zu Anfang der Arbeit, merke ich häufig, dass unter der Oberfläche ein ganzes Bündel weiterer Motive lauert. Der Erzähler möchte sich erklären, rechtfertigen, entschuldigen, anklagen, verteidigen, rächen - um nur einige der möglichen Beweggründe zu nennen. Manchmal fördern auch meine Recherchen Erkenntnisse zu Tage, die das eine oder andere Erlebnis in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Darüber ist dann ausführlich zu reden und nicht selten erweisen sich auf den ersten Blick einfache Ereignisse im Spiegel ausführlicher Nachforschungen als sehr komplex.
Bei fast jedem Auftrag stößt der Biograf auf Erinnerungslücken des Erzählers, die mit Hilfe von Dokumenten, Fotografien oder anderen Zeitzeugenberichten geschlossen werden können. Auch das ein oft mühsamer, auf jeden Fall aber zeitraubender Prozess. Oft ist dieses prozessuale Erinnern den Erzählerinnen und Erzählern sogar wichtiger als das Ergebnis. Sie genießen die Gespräche mit ihrem persönlichen Biografen. Wann hört jemand in dieser Jugendwahngesellschaft einem alten Menschen stundenlang und aufmerksam zu?
So wichtig dieser Prozess auch ist, so sehr achte ich darauf, ihn irgendwann zu einem Ende zu bringen. Meine Aufgabe ist die schriftliche Dokumentation einer Lebensgeschichte. Der Prozess ist ein notwendiger Teil dieser Arbeit und nicht - wie etwa bei einem Therapeuten - das Ergebnis. Ich bin erst dann zufrieden, wenn der Erzähler seine Biografie als gedrucktes und gebundenes Buch in der Hand hält. Damit das noch zu seinen Lebzeiten gelingt, ist ein Stichtag, etwa ein unverrückbarer Geburtstagstermin, sehr hilfreich. Denn sonst könnte man ja noch ...

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Ich arbeite als Biograf und Autor am Bodensee. Weitere Informationen finden Sie auf meiner Internetseite

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